Aus den Lübecker Nachrichten, von Jan
Petrie, im Mai 1987
Im KZ den Glauben verloren
Vor 100 Jahren wurde der Dichter Ernst
Wiechert geboren
Ernst Wiechert lebte von 1887 bis 1950
L ü b e c k. Ernst Wiecherts Bücher waren
bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Bestseller. Die Jugend
kennt ihn heute kaum mehr, obwohl eines seiner Hauptwerke, der
Roman „Das einfache Leben" den heute wieder aktuellen
Weg eines Aussteigers in ein alternatives Dasein zeichnet.
Wiechert wurde vor 100 Jahren am 18. Mai 1887 geboren.
"Das einfache Leben" galt bei
Erscheinen im Jahre 1939 als Chiffre eines möglichen Lebens
fern von Staat, Kirche, Zivilisation und Technik, das allein
im Menschlichen gründet. Als Wiechert diesen Roman
veröffentlichte, lagen die Leiden einer Haft im KZ Buchenwald
hinter ihm. Aber er beschrieb zunächst sein Modell eines
alternativen Lebens in Harmonie mit der Schöpfung, ehe er von
der "Schändung und Vernichtung des Menschen durch den
Menschen" (Wiechert) im "Totenwald" berichten
mußte.
Bereits 1939 begann Wiechert seinen
"Bericht" über die Tage des Schreckens in
Buchenwald zu schreiben. Er vergrub das Manuskript im Garten.
Erst 1945 erschien "Der Totenwald". In ihm klagt das
Opfer die Henker an: "Niemals war die Nacktheit der Macht
schamloser verbrämt worden, niemals das Ebenbild Gottes
tiefer geschändet worden." Wiechert fühlte, „wie
durch das Bild Gottes ein Sprung hindurchlief, der nicht mehr
heilen würde." Er hatte den Glauben an der Christengott
verloren.
Das schriftstellerische Werk Ernst
Wiecherts entwickelte sich mühevoll in einem über zwei
Jahrzehnte dauernden Sammlungsprozeß. Der Försterssohn, der
in einem Forsthaus im südlichen Ostpreußen an der polnischen
Grenze bei Sensburg zur Welt kam, begann als Studienrat in
Königsberg deutsche Sprache und Dichtung und
naturwissenschaftliche Fächer zu unterrichten. Neben dem
Schuldienst schrieb er Romane, Novellen und, Erzählungen.
"Das Leben war schneller gegangen als die Kunst",
schrieb Wiechert schon in jungen Jahren. "Mit vielen
schlechten Büchern", urteilt Wiechert später, habe er
sein Ich damals zu deuten versucht.
Literarischen Ruf erreichte Wiechert mit
seinem Roman "Die Magd des Jürgen Doskocil", der
1932 herauskam. Wiechert war bereits 45 Jahre alt. Er war 1930
von Königsberg nach Berlin übersiedelt. Zwei Jahre danach
gab er den Lehrerberuf auf, um als freier Schriftsteller zu
arbeiten, zog zuerst an den Starnberger See, später nach
Wolfratshausen.
1933 und 1935 appellierte Ernst Wiechert an
die Studenten im Münchner Auditorium Maximum, sich kritisches
Denken gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie zu
bewahren. Das war der Aufruf zum inneren Widerstand, und so
wurde er auch von der Gestapo verstanden. Als Wiechert sich
später in einem offenen Brief für die Freilassung des
Gründers der "Bekennenden Kirche", Pastors Martin
Niemöller, einsetzte, schlug die Gestapo zu und sperrte ihn
ins KZ Buchenwald ein.
Nach dem Krieg boten dem Schwerkranken Schweizer Freunde in
Stäfa bei Uerlikon Hilfe und Unterkunft. Am 24. August 1950
stirbt er dort im Alter von 63 Jahren.
Jan Petrie
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