Zum Archiv
Zum Archiv

Der Schöneicher Architekt Dipl. Ing. Emil Stamm


Unser Großvater Emil Stamm wurde am 10. Dezember 1880 in Untergrüne Kr. Iserlohn geboren.
Seine Eltern waren Hermann Stamm und Henriette geborene Kersting.

Es ist uns nicht genau bekannt, wann er nach dem heutigen Schöneiche kam, vermutlich aber zwischen 1909 und 1914. In einer Annonce eines Wanderführers aus dem Jahr 1909 wirbt er für den Bau kleiner Sommerhäuser "Fichtenauer Höh'", damals noch unter der Anschrift Essener Straße 17 in Berlin-Charlottenburg. In einem alten Einwohnerverzeichnis aus dem Jahre 1914 ist er dann bereits in Schöneiche zu finden.

Nach seiner Lehrzeit in Iserlohn studierte er Maschinenbau auf der TU-Berlin und machte das Examen als  Dipl. Ing..
Während seiner Studienzeit wohnte er in Charlottenburg, Kantstraße 147, g. III  als stud. ver. techn
und in Berlin N. W., Lessingstraße 15 und /oder Nr. 16 als cand. techn.
Er segelte oft mit seinem eigenen Segelboot auf dem Wannsee und auf der Havel und interessierte sich schon damals für die Architektur, wie wir aus vielen seiner Skizzenbüchern entnehmen können
 
Er gehörte dem "Akademischer Verein Hütte e. V." an und besuchte auch zu DDR-Zeiten regelmäßig dessen Treffen in der Carmerstraße in Berlin-Charlottenburg. Dort konnten wir ihn dann bequem telefonisch erreichen.

Emil Stamm wählte aber den Beruf des Architekten und baute bereits 1911 Sommerhäuser in Hohenberge-Grätzwalde.

In Fichtenau-Hohenberge, damals Straße 51 oder Hohenberger Str. 51, später Blücher Str. und heute Leipziger Str. 7-9 baute er 1920 auf seinem Grundstück ein großes Landhaus für sich und seine Familie. Das Grundstück besteht aus vier Flurstücken in der Größe von über einem Morgen.

Mein Großvater war ein begeisterter Photograph. In seinem Besitz befand sich auch eine der allerersten Leicas mit der Fabriknummer (um) 348. Diese wurde bedauerlicherweise bei einem Einbruch in sein Haus entwendet.

Durch sein Hobby lernte er in Emden seine spätere Braut und Ehefrau kennen.
Diese arbeitet dort als Mitarbeiterin in einem Fotoatelier.

Am 25. Januar 1920 wurde das Aufgebot bestellt und am 9. März 1920 heiratete er meine Großmutter Ida, geschiedene Brüggemann, geborene Hoffmann.
Sie brachte unsere Mutter Gertrud Brüggemann mit in die Ehe.
In diesem Sinne war er eigentlich unser Stief-Großvater. Das haben wir aber nie bewusst so empfunden, denn für unsere Mutter war er immer nur ihr Vati und für uns Kinder unser lieber Opa..

In dem heutigen Schöneiche, bestehend aus Kleinschönebeck, Hohenberge-Grätzwalde, Fichtenau und Schöneiche baute er ungefähr 500 Häuser. In alten Schriftstücken wurde früher  einmal eine Anzahl von 498 Häusern erwähnt.
Hierzu zählen auch Sommerhäuser, deren ältestes nach den Fotos aus 1911 stammt.

Seine berufliche Tätigkeit als Architekt war von Erfolg gekrönt. Bereits 1928 konnte er mit seinem eigenen Auto zur Fahrschule fahren, denn dieses war zu damaligen Zeiten noch möglich! Fahrten mit seinem Auto führten 1930 in den Harz und spätere Reisen auch bis nach Italien.

In Schöneiche, vermutlich in Fichtenau, wie ich mich aus meiner Kindheit erinnere, hatte er ein eigenes Baugeschäft. Er arbeitet dort mit dem Bau-Ing. Friedrich zusammen.
Unser Großvater Emil Stamm baute die Häuser auf eigene Rechnung, wohl auch ohne Aufnahme von Hypotheken.
Dieses ist durch alte Kontoauszüge belegt. Die Eigentümer bezahlten ihre monatlichen Abzahlungsbeträge direkt an meinen Großvater.

Der überwiegende Teil der von ihm gebauten Häuser sind Landhäuser und Einfamilienhäuser.

Fotos von vielen seiner Bauten und Entwürfen sind auf seinen Postkarten zu finden, diese wurden zu Werbezwecken benutzt. Aus seinen Fotoalben "Landhäuser Stamm" und einzelnen Postkarten stammt die Zusammenstellung dieser Fotos.
Besonders interessant sind für uns heute die angegebenen damaligen Preise.

Aus Fragmenten des Katalog-Prospektes "Landhaussiedlung Hohenberge" von Bau-Ing. O. Schramm und Architekt
Dipl. Ing. E. Stamm, Hohenberge b. Fichtenau, Stadtbahn Rahnsdorf, ist interessant zu sehen wie in damaligen Zeiten für neue Kunden geworben wurde. Durch das Ansiedlerverzeichnis prominenter Personen wurden Interessenten über ihre zukünftigen Nachbarn informiert.

Aus Erzählungen in unserer Familie ist auch bekannt, dass unser Opa sehr hohe Kirchensteuern zu bezahlen hatte. Er meinte für diese Beträge sich eine eigene Kirche bauen  und einen eigenen Pastor einstellen zu können. Deshalb soll er für die Kirche eine Kapelle gebaut und geschenkt haben.
Als Gegenleistung soll er auf Lebzeiten von der Kirchensteuer befreit worden sein.
Nach Angaben der Friedhofsverwaltung "Flora" soll es sich hierbei um die evangelische Kapelle in der Dr.-Wilhelm-Kulz-Straße - der heutigen Lübecker Straße handeln.

1932 wurden die Siedlungshäuser "Am Zehnbuschgraben" und an der Vogeldorfer Straße nach seinen Plänen als Erwerbslosensiedlung gebaut. Siehe hierzu den Zeitungsartikel "Wo einst die Arbeitslosen siedelten" von Gerhard Klatt aus einer DDR-Zeitung von 1982. Von diesen Baumaßnahmen sind noch viele Fotos vorhanden.

Am 4. Januar 1936 heirateten unsere Eltern Gertrud, geb .Brüggemann und Herbert Wichert. Unsere Mutter erhielt unser Geburtshaus in der Blücher Str., heute Leipziger Str. 28/Ecke Am Rosengarten von unseren Großeltern als Hochzeitsgeschenk.

Durch den Zusammenschluss der verschiedenen heutigen Ortsteile wurden wir Kinder zwar im gleichen Haus und im gleichen Zimmer aber in verschiedenen Orten geboren.
Ich selbst im März 1937 und meine Schwester Uta im Dezember 1938 in Kleinschönebeck Kr. Niederbarnim, genannt wurde in unserer Familie für meine Schwester aber immer Fichtenau, mein Bruder Volker im Dezember 1941  aber in Schöneiche bei Berlin!

Unser Geburtshaus ist ein Typus von Einfamilienhaus, wie es in Schöneiche oft gebaut wurde.
Dieser Typ erlangte durch den damaligen Mangel an Baumaterial und dessen Qualität eine leider nicht gerade positive Berühmtheit. Die Stamm-Friedrich-Häuser standen bei der Gemeinde und der Kommunalen Wohnungsverwaltung nicht in bestem Ruf.

Über den Zeitraum der Zusammenarbeit mit Herrn Friedrich liegen uns im Moment noch keine genauen Informationen vor.
Uns liegt nur eine Bauzeichnung für ein "Einfamilienhaus für Fa. Stamm und Friedrich, Fichtenau" mit dem Datum 13.11.1937 vor. Diese betrifft ein Einfamilienhaus des Typs welcher  in Schöneiche oft zu finden ist. Er entspricht deshalb auch genau meinem Geburtshaus in der Blücherstr/Leipziger Str. 28/Ecke Am Rosengarten
Die Bauzeichnung  ist für ein Haus in der Markgrafenstr. (August-Bebelstr.)/Ecke Hauptstr. (Straße der Jugend, Geschwister-Scholl-Str.). Die Bauherren E. Stamm und Friedrich unterschrieben den Bauantrag. Für die Ausführung des Baus zeichnete der Architekt Dipl. Ing. E. Stamm, Fichtenau b. Berlin.
Der Bau wurde am 24.11.1937 vom Bürgermeister Gerber? der Gemeinde Kleinschönebeck und am 14. Dezember 1937 vom Kreisbaupolizeiamt Niederbarnim genehmigt.  Die Firma Stamm und Friedrich in Fichtenau baute also die Einfamilienhäuser in Eigenregie zum Zwecke des späteren Verkaufs.

Das Baugeschäft wurde noch vor dem Kriegsende aufgelöst. Unmengen der langen Gerüststangen zersägte ich im Sommer 1945 in unserem Garten auf einem Bock mit einer große Bügelsäge in meterlange Stücke. 

Herr Friedrich erwarb noch während des Krieges ein Rittergut an der schwarzen Elster.
Dort besuchten wir ihn auch einmal mit unserer Mutter.

Unser Großvater schenkte unserer Großmutter zu Weihnachten 1948 das große Mehrfamilienhaus in der
Zionskirchstraße 16 in Berlin-Mitte.

Unsere Großmutter Ida Stamm geb. Hoffman starb leider bereits im Alter von 71 Jahren am 29. April 1959 in Rüdersdorf. Unser Großvater Emil Stamm verstarb im 91. Lebensjahr am 8. Mai 1971 in Neu Golm.
Seine letzten Lebensjahre verbrachte er einsam in seinem großen Haus mit unbeliebten Untermietern.
Durch seine enge Verbundenheit mit Schöneiche war er nicht dazu zu bewegen unser Angebot  anzunehmen  und  zu uns nach Hamburg oder Bad Oldesloe umzusiedeln.
Das gemeinsame Grab auf dem Friedhof in der Friedensaue besteht nicht mehr.
Der Grabstein wurde bereits ungefähr 1980 durch die DDR-Behörden, nach Angaben der "Flora"  wegen angeblich mangelnder Standfestigkeit, beseitigt und wohl wie damals üblich für Devisen in den Westen verscherbelt.
   
             RIP
        in memoriam

Jürgen Wichert
Bad Oldesloe, im April 2006